Prognose nach Schlaganfall: Die Proportional Recovery Rule

In Episode #2 des Synapsengulasch Podcast „Faszination Therapiewissenschaft“ sprechen Martin und ich mit Holm Thieme ab Minute 27:25 über das spannende Thema Prognose nach Schlaganfall. Ist es möglich das Outcome eines Schlaganfalls vorherzusagen? Und was steckt genau hinter der so genannten „Proportional Recovery Rule“ (PRR), die Martin anspricht? Ein kurzer Überblick…

Prognose nach Schlaganfall

Schon aus den Schriften des Hippokrates geht hervor, dass der stärkste Prädiktor für die motorische Beeinträchtigung nach einem Schlaganfall die anfängliche Beeinträchtigung ist (Aphorismen des Hippokrates, Abschnitt 2: 42). Heute ist die Forschung in diesem Bereich allerdings ein ganzes Stück weiter!

Im Rahmen einer bahnbrechenden Studie, in der die Erholung von Schlaganfallpatienten gezielt mit Hilfe des Fugl-Meyer-Assessments (FMA) untersucht wurde, zeigte sich Anfang der 90er Jahre des vorherigen Jahrtausends, dass sich bei schwer betroffenen Patienten in der unmittelbaren Genesungsphase nach dem Schlaganfall im Durchschnitt eine grössere Erholung einstellte, als bei leicht betroffene Patienten (Duncan et al. 1992). Zudem stellten die Forscher in ihrer Studie fest, dass die Erholung der motorischen Funktionen innerhalb der ersten 30 Tage auftrat, und zwar unabhängig vom anfänglichen Schweregrad des Schlaganfalls.

Auf Grundlage dieser Studienergebnisse versuchten Krakauer und Kollegen die Verhältnisse dieser Veränderungen früh nach dem Schlaganfall genauer zu verstehen. Eine Arbeit, die die Forscher im Jahr 2015 zur Formulierung der Proportional Recovery Rule führte (Krakauer et al.).

Die Proportional Recovery Rule

Die PRR besagt, dass sich Patienten nach einem Schlaganfall, gemessen am FMA, zu etwa 70 % ihrer maximal möglichen Beeinträchtigung erholen.

Exemplarische Darstellung der Erholung dreier Schlaganfälle unterschiedlichen Schweregrades, gemessen mit dem FMA. Im rechten Bild zu sehen ist die in der PRR postulierte gleiche proportionale Erholung bei unterschiedlichem Outcome.

Seit ihrer Einführung wurde die PRR in einer Vielzahl von Studien angewandt, die sich mit der Erholung nach einem Schlaganfall befassten. Aussagen zur PRR wurden u.a. für die Beeinträchtigung der oberen und unteren Gliedmaßen, der Aphasie, und des visuospatialen Neglects gemacht.

Bei der Anwendung der PRR wird typischerweise zwischen zwei verschiedenen Untergruppen von Patienten unterschieden, die als „Fitter“ (Genesene) und „Non-Fitter“ (Nicht-Genesene) bezeichnet werden. Die erste Untergruppe besteht aus Patienten, die einen signifikanten Anteil der verlorenen Funktion wiedererlangen, und die zweite aus solchen, die dies aus noch unerklärlichen Gründen nicht tun.

Daher wird momentan davon ausgegangen, dass die PRR den Genesungsprozess nur bedingt (prozentual) und auch nur bei den Genesenden sinnvoll vorhersagen und charakterisieren kann.

Wir können für einen gewissen Teil der Patienten (rund 70 %) relativ gut prognostizieren, ob sie eine positive Entwicklung machen, aber wir können nur schlecht prognostizieren, ob jemand eine negative Entwicklung macht.

Prof. Dr. Holm Thieme

Einfluss auf die Therapie

Wie wir als Therapeuten im klinischen Alltag mit diesen Erkenntnissen umgehen sollten, und welchen Einfluss derartige Vorhersagen auf unsere Entscheidungen in der Therapie haben, das erklärt Prof. Dr. Holm Thieme im Podcast: Jetzt reinhören!

  1. Duncan PW, Goldstein LB, Matchar D, Divine GW, Feussner J. Measurement of motor recovery after stroke. Outcome assessment and sample size requirements. Stroke. 1992;23:1084-1089.
  2. Krakauer JW, Marshall RS. The proportional recovery rule for stroke revisited. Ann Neurol. 2015;78:845-847. doi:10.1002/ ana.24537

Wir, das sind Jakob Tiebel, Ergotherapeut mit Studium in angewandter Psychologie und Martin Huber, MSc in Neurorehabilitation und Dozent an der ZHAW in Winterthur.

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